Situation am 17. März 2025 (aus: Briefing des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - BAMF)
1. Hunderte getötete Zivilpersonen nach Kämpfen und Massakern in Syriens Küstenregion
Nach mehreren koordinierten Angriffen auf syrische Sicherheitskräfte am 06.03.25 mobilisierte die Übergangsregierung die ihnen offiziell angeschlossenen Sicherheitskräfte und bewaffneten Gruppierungen. Im Rahmen der darauffolgenden Kämpfe kam es zu zahlreichen extralegalen Hinrichtungen und Massakern an der Zivilbevölkerung, besonders in der Küstenregion. Die Kämpfe ereigneten sich zwischen bewaffneten Assad-treuen Gruppierungen und offiziellen Sicherheitskräften sowie Unterstützern der Übergangsregierung. Medienberichten zufolge kämpften auf Seite der Übergangsregierung neben den offiziellen Truppen auch lokale bewaffnete Gruppierungen, Milizen des durch die Türkei unterstützten Bündnisses der SNA aus dem Norden und ausländische islamistische Gruppierungen. Diese gelten nominell zwar als in den neuen syrischen Sicherheitsapparat integriert, de facto unterliegen sie bislang jedoch denselben organisatorischen, personellen und Kommandostrukturen wie zuvor, da bislang keine oder nicht vollumfängliche Eingliederungsprozesse stattgefunden haben.
Verschiedenen Berichten zufolge bewaffneten sich auch Zivilpersonen und schlossen sich den bewaffneten Parteien an. Die anfänglichen Kämpfe gingen daraufhin in Übergriffe auf die Zivilbevölkerung über. Es soll zu Racheakten durch die Truppen und Unterstützer der Übergangsregierung entlang konfessioneller Linien gekommen sein. Insbesondere die alawitische Bevölkerung, die von großen Teilen der syrischen Bevölkerung, wenn nicht als Unterstützer, dann zumindest als Profiteure der gestürzten Assad-Regierung betrachtet wird, war daher von Hinrichtungen und Massentötungen betroffen
.
Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) war eigenen Angaben zufolge in der Lage, bis zum 15.03.25 die Tötung und Hinrichtung von mindestens 1.034 Zivilpersonen zu verifizieren. 439 wurden demnach durch Anhänger der Assad-Regierung getötet, während 595 Tötungen den Sicherheitskräften und ihren Unterstützern zugeordnet werden. Die Organisation gab an, weiterhin Ereignisse in diesem Kontext zu verifizieren, es handelt sich daher zunächst um vorläufige Ergebnisse. Unter den Gruppierungen der Sicherheitskräfte sollen insbesondere Fraktionen der SNA, sowie ausländische Milizen in die Massaker involviert gewesen sein. Allerdings beteiligten sich auch einige der aus den Kämpfern der HTS entstandenen offiziellen Sicherheitskräfte unter der Abteilung der Allgemeinen Sicherheit an den Tötungen. Zusätzlich zu der hohen Zahl an zivilen Opfern sollen auch Hunderte Kämpfer zu Tode gekommen sein.
Bereits seit dem Sturz der Assad-Regierung und der Machtübernahme der HTS sind Alawitinnen und Alawiten zunehmend Racheakten in Form von Übergriffen und Drohungen ausgesetzt. Währenddessen haben hochrangige Militärs und Geheimdienstoffiziere der gestürzten Assad-Regierung sich den durch die Übergangsregierung eingerichteten Versöhnungsprozessen entzogen und bewaffnete Gruppierungen gegründet oder zusammengeschlossen. Hierzu zählen die Syrian Popular Resistance, die Syrian Islamic Resistance Front, der Militärrat des freien Syriens sowie Überbleibsel des Milizenzusammenschlusses der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF). Diese Gruppierungen waren in die Angriffe auf die Truppen der Übergangsregierung am 06.03.25 involviert.
Obgleich die Übergangsregierung am 10.03.25 angab, die Kontrolle zurückerlangt zu haben, dauerten Angriffe bewaffneter Gruppierungen auf Sicherheitskräfte noch mindestens bis zum 14.03.25 weiter an. Mehrere Mitglieder der Streitkräfte wurden getötet, Berichte über getötete Zivilpersonen gab es zunächst keine. Übergangspräsident al-Shar’a kündigte weitreichende Untersuchungen und strafrechtliche Konsequenzen für jene an, die für die Tötungen von Zivilpersonen verantwortlich seien, auch für Verbündete. Zu diesem Zweck rief er ein Komitee ins Leben, das innerhalb von 30 Tagen Ergebnisse an ihn übermitteln solle.
2. Vereinbarung über Integration in Staatsapparat zwischen SDF und Übergangsregierung
Am 10.03.25 unterzeichneten Übergangspräsident al-Shar’a und SDF-Kommandeur Mazloum Abdi eine Vereinbarung, die einen Waffenstillstand ermöglichen und den Weg zu einer politischen Einigung zwischen den beiden politischen Entitäten enthalten soll. Die Absichtserklärung umfasst mehrere Punkte, darunter zentral die bis Ende des Jahres 2025 angestrebte Integration der militärischen und zivilen Bestandteile der SDF in die Übergangsregierung, wobei Details dieses Prozesses bislang nicht enthalten sind. Trotz der Einigung dauerten türkische Luftangriffe und Kämpfe zwischen Fraktionen der SNA und der SDF in Ost-Aleppo weiter an, was Fragen über die Kontrollfähigkeit der Übergangsregierung über die SNA-Gruppierungen aufwirft. Eine Quelle des türkischen Verteidigungsministeriums gab gegenüber einer Nachrichtenagentur an, dass die Vereinbarung das Vorgehen der Türkei gegen terroristische Vereinigungen in Syrien nicht betreffen würde. Die Türkei betrachtete die YPG, die stärkste Gruppierung innerhalb der SDF, als eine terroristische Gruppierung und verlangt weiterhin deren Entwaffnung und Auflösung.
Am 10.03.25 unterzeichneten außerdem drusische Milizen und die syrische Übergangsregierung ein Abkommen, das unter anderem die Rekrutierung von Sicherheitskräften aus Suweida und die Einrichtung militärischer Einheiten aus Suweida unter dem Schirm des Innenministeriums vorsieht. Eine einflussreiche drusische Führungspersönlichkeit, Sheikh al-Hijri, gab jedoch wenig später an, es sei keine Einigung erzielt worden. Inwiefern diese Aussage Auswirkungen auf die unterzeichnete Vereinbarung hat, ist nicht bekannt.
3. Temporäre Verfassungserklärung unterzeichnet
Am 13.03.25 unterzeichnete Übergangspräsident al-Shar’a eine Verfassungserklärung, die für eine Übergangsperiode von fünf Jahren gültig sein und nach Ablauf dieses Zeitraums durch eine dauerhafte Verfassung abgelöst und durch Parlaments- und Präsidentschaftswahlen begleitet werden soll.
Diese vorläufige Verfassung gewährt al-Shar‘a weitreichende Kompetenzen und Einfluss auf die personelle Besetzung sowohl der Legislative als auch der Judikative, obgleich sie auch eine Gewaltenteilung vorsieht. Ein Drittel der Mitglieder des künftigen Parlamentes würde demnach durch den Übergangspräsidenten ernannt. Zudem soll ein Ausschuss gebildet werden, der wiederum ein weiteres Komitee benennen würde, das die üblichen zwei Drittel bestimmen solle. Außerdem würde Shar’a die Richter des Obersten Verfassungsgerichts benennen. Als „die Hauptquelle“ für die zukünftige Gesetzgebung wurde in einer Lesung einer Zusammenfassung der Erklärung die Scharia aufgeführt, die zuvor nur als eine der Hauptquellen galt. Grundrechte, darunter die Meinungs- und Glaubensfreiheit, sollen für alle Syrerinnen und Syrern innerhalb der ünffjährigen Übergangsperiode gewahrt bleiben. Rechtseinschränkungen seien nur in Fällen der nationalen Sicherheit möglich. Der Präsident habe die Möglichkeit, den nationalen Notstand auszurufen. Außerdem sei die Glorifizierung der Assad-Regierung von der Meinungsfreiheit ausgenommen. Die Erklärung wurde durch das verfassungsgebende Komitee auf Grundlage der Ergebnisse der Nationalen Dialogkonferenz erarbeitet.
Al-Shar’a verkündete außerdem die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats, in dem sich unter anderem die derzeitigen Minister für Verteidigung, Inneres, Auswärtige Angelegenheiten sowie der Direktor des Nachrichtendienstes befinden. Sie gelten bislang als loyal gegenüber al-Shar’a. Darüber hinaus sollen zwei Beraterinnen oder Berater benannt werden, die ebenfalls dem Rat angehören werden.
Der Demokratische Rat Syriens (SDC), der politische Arm der SDF, sowie der oppositionelle Kurdische Nationalrat (KNC) kritisierten die Verfassungserklärung jedoch mit deutlichen Worten. Sie würde der Exekutive absolute Macht einräumen und politische Pluralität verunmöglichen.
Erst wenige Tage zuvor gelang es der Übergangsregierung und den SDF eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die den Weg für eine Integration der kurdisch-dominierten Gruppen und Administration im Nordosten Syriens in die Übergangsregierung vorsah. Im Nordosten kam es zu Protesten der lokalen Bevölkerung.
Quellen:
1. SNHR, 803 Individuals Extrajudicially Killed Between March 6-10, 2025, last update 11.03.2025; Reuters, 'Pray for us. They've arrived': How Syria descended into revenge bloodshed, last update 16.03.2025; Zenith, Die gefährliche Lage von Syriens Alawiten, last update 05.03.2025; The Washington Institute, Syria’s Transitional Honeymoon Is Over After Massacres and Disinformation, last update 10.03.2025; SNHR, Daily Update: Extrajudicial Killings on the Syrian Coast (March 6–March 15, 2025), last update 15.03.2025; The National, 'Are you Alawite?': Killings in Syrian village of Arza raise fears of endless sectarian violence, last update 14.03.2025; ISW, Iran Update, March 12, 2025, last update 12.03.2025; ISW, Iran Update, March 13, 2025, last update 13.03.2025; ISW, Iran Update, March 14, 2025, last update 14.02.2025; Enab Baladi, Syrian Defense Ministry announces end of operations in coastal region, last update 10.03.2025.
2. ISW, Iran Update, March 10, 2025, last update 10.03.2025; ISW, Iran Update, March 11, 2025, last update 11.03.2025; ISW, Iran Update, March 12, 2025, last update 12.03.2025; ISW, Iran Update, March 13, 2025, last update 13.03.2025; ISW, Iran Update, March 14, 2025, last update 14.02.2025; Enab Baladi, Al-Hijri escalates against Damascus: A “radical” government, last update 13.03.2025; Reuters, Turkey says forces killed 24 Kurdish militants in Syria, Iraq in a week, last update 13.03.2025; Enab Baladi, Details of Damascus-As-Suwayda agreement, last update 12.03.2025; NYT, Syrian Government Signs Breakthrough Deal With Kurdish-Led Forces, last update 10.02.2025.
3. ISW, Iran Update, March 13, 2025, last update 13.03.2025; tagesschau.de, Kurden in Syrien lehnen Verfassungsentwurf ab, last update 15.03.2025; DW, Verfassungsentwurf für Syrien löst Empörung aus, last update 15.03.2025; ISW, Iran Update, March 14, 2025, last update 14.02.2025; NYT, Syria Has a New Temporary Constitution. Here Are the Highlights, last update 14.02.2025; Enab Baladi, Kurdish rejection and international welcome for Syria’s constitutional declaration, last update 14.03.2025; Reuters, Syria keeps role for Islamic law in 5-year transition, last update 13.03.2025; Enab Baladi, Al-Sharaa signs draft constitutional declaration, last update 13.03.2025; Enab Baladi, Al-Sharaa forms National Security Council in Syria, last update 13.03.2025; SANA, اﻹﻋﻼناﻟدﺳﺗوريﻟﻠﺟﻣﮭورﯾﺔاﻟﻌرﺑﯾﺔاﻟﺳورﯾﺔ [Constitutional Declaration of the Syrian Arab Republic], last update 13.03.2025.
Informationen vom 10. März 2025 (aus: Briefing des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - BAMF)
1. Berichte von mehreren Hundert Toten bei Kämpfen und Massakern im alawitischen Kernland
Nachdem Medienberichten zufolge am 06.03.25 mehr als ein Dutzend Sicherheitskräfte der Übergangsregierung bei einem Hinterhalt durch bewaffnete Assad-Getreue in Jableh (Latakia) zu Tode kamen, brachen in der Küstenregion, in den Gouvernements Tartous und Latakia, die schwersten Kämpfe seit dem Fall der Assad-Regierung aus. Assad-getreue Gruppierungen lieferten sich demnach heftige Gefechte mit Truppen und Unterstützern der Übergangsregierung.
Es folgten landesweit organisierte und koordinierte Angriffe auf Truppen der Übergangsregierung, insbesondere jedoch in der Küstenregion. Die Sicherheitskräfte verstärkten daraufhin ihre Präsenz, verhängten in Tartous und Latakia aber auch andernorts Ausgangssperren und begannen Operationen gegen bewaffnete Aufständische.
Es soll im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte der Übergangsregierung zu Vergeltungsakten an der in Tartous und Latakia mehrheitlich alawitischen Zivilbevölkerung gekommen sein. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete, mehrere Ortschaften in der Küstenregion sollen durch die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung gestürmt und zum Teil geplündert worden sein. Dabei seien wahllos Zivilpersonen, darunter auch Kinder, getötet worden. Insgesamt seien SOHR zufolge bis zum 09.03.25 insgesamt 231 Sicherheitskräfte, 250 Aufständische und etwa 830 Zivilpersonen getötet worden. Der Großteil der Getöteten habe der alawitischen Konfession angehört, es befänden sich jedoch auch andere Bevölkerungsgruppen unter den Getöteten. Betroffen war vor allem das Gouvernement Latakia, gefolgt von Tartous.
Doch auch in Hama und Homs soll es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung durch Sicherheitskräfte oder bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung gekommen sein. Die Nachrichtenlage ist derzeit noch uneindeutig. So zitierte beispielsweise die Nachrichtenplattform Enab Baladi Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR), wonach bis zum 08.03.25 insgesamt 311 Todesopfer erfasst worden sein sollen. Banden der ehemaligen Regierung sollen 121 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 26 Zivilpersonen getötet haben, während im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte 164 Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder, durch „undisziplinierte Fraktionen“ getötet worden sein sollen. Es handele sich hierbei vor allem um Gruppierungen aus dem Norden (mutmaßlich Kämpfer der aus der Türkei unterstützen SNA) sowie Truppen, die noch nicht angemessen ausgebildet seien, und einzelne bewaffnete Männer, die sich kurzentschlossen den Sicherheitskräften angeschlossen hatten. Es lässt sich nicht unabhängig überprüfen, wer die Tötungen begangen hat und wie hoch die Opferzahlen tatsächlich sind.
SOHR zufolge sollen die Bodenoperationen in Teilen durch Angriffe der syrischen Luftwaffe unterstützt worden sein. Mehrere Syrerinnen und Syrer sollen auch in der russischen Militärbasis Hmeimim Schutz durch das russische Militär erbeten haben.
Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien
Im Nordosten dauern Kämpfe zwischen den durch die Türkei unterstützten der Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) im Osten des Gouvernements Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, an.
Türkische Luftangriffe auf Ziele in den Gouvernements Aleppo und Raqqa hätten der Plattform Etana zufolge zugenommen und zu einem Anstieg an Todesopfern geführt. Genaue Zahlen liegen nicht vor.
Quellen:
1. Associated Press, Assad loyalists kill at least 13 police officers in ambush on Syrian forces in coastal town, last update 10.03.2025;SOHR 830ﺗﺻﻔﯾﺔوإﻋدام830ﻣواطنﻓﻲاﻻﻧﺗﻘﺎماﻟﺟﻣﺎﻋﻲاﻷﻛﺑرﻓﻲاﻟﺳﺎﺣلوﺟﺑﺎﻟﮫ..وارﺗﻔﺎعاﻟﻌدداﻹﺟﻣﺎﻟﻲإﻟﻰ1311ﺧﻼل72ﺳﺎﻋﺔ citizens liquidated and executed in the largest collective revenge in the coast and its mountains and the total number rises to 1311 within 72 hours], last update 09.03.2025; Associated Press, UN urges an end to fighting in Syria, last update 07.03.2025; Associated Press, Clashes in Syria between government forces and Assad loyalists kill more than 200, last update 08.03.2025; SOHR, Amid distress calls by civilians | Areas in Tartus and Latakia countryside come under attack by drones and artillery shells, last update 09.03.2025; dpa, Aktivisten prangern «Massaker» an Alawiten in Syrien an, last update 09.03.2025; Etana, Syria Update #21: 8 March 2025, last update 08.03.2025; ISW, Iran Update, March 7, 2025, last update 07.03.2025; Enab Baladi, 311 casualties among government forces and civilians in Syrian coast, last update 08.03.2025; Enab Baladi, Rights organization documents government and civilian deaths in Syrian coast, last update 08.03.2025; Reuters, Scores killed as Syrian forces seek to crush Alawite insurgency, last update 07.03.2025; Reuters, Syria's Sharaa scrambles to contain deadliest violence in years, last update 10.03.2025.
2. Etana, Syria Update #21: 8 March 2025, last update 08.03.2025; ISW, Iran Update, March 7, 2025, last update 07.03.2025; NYT, While Calm Reigns in Damascus, Battles in Syria’s Northeast Rage On, last update 05.03.2025.
Informationen vom 3. März 2025 (aus: Briefing des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - BAMF)
1. Andauernde Kämpfe und Luftangriffe in Ost-Aleppo und Nordostsyrien
Auch nach dem Aufruf Öcalans (vgl. Beitrag zu Türkei) an die PKK, die Waffen niederzulegen, gingen die Kämpfe zwischen den Kämpfern der durch die Türkei unterstützten Milizen der sogenannten Syrischen Nationalarmee (SNA) und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) in Ost-Aleppo, vor allem im Distrikt Manbij, weiter. MazloumAbdi, Kommandeur der SDF, gab an, dass der Aufruf Öcalans die SDF nicht beträfe.
Während die Türkei die Volksverteidigungseinheiten (YPG), die einflussreichste Fraktion innerhalb der SDF, als gleichbedeutend mit der PKK ansieht, betont die Führung der SDF seit Jahren ihre Distanz zur PKK.
2. Kämpfe zwischen Übergangsregierung und Assad-loyalen Gruppierungen
Es kommt landesweit immer wieder zu Angriffen Assad-treuer Milizen auf relevante Ziele innerhalb Syriens, darunter auf Sicherheitskräfte der Übergangsregierung, aber auch israelische Militärs. So zum Beispiel am 26.02.25, als Medienberichten zufolge mutmaßliche Anhänger der ehemaligen Assad-Regierung eine lokale Polizeistation in Qardaha angriffen und den Rückzug der internen Sicherheitskräfte der Übergangsregierung forderten. Es folgte eine Sicherheitskampagne der internen Sicherheitskräfte in der Ortschaft.
3. Konferenz des Nationalen Dialogs
Nur zwei Tage nach dem Versenden der Einladungen kamen am 24.02. und 25.02.25 hunderte Syrerinnen und Syrer zur Konferenz des Nationalen Dialogs in Damaskus zusammen. In Workshops erarbeiteten sie Vorschläge und Zielsetzungen in den Bereichen Übergangsjustiz, Verfassung, Aufbau von staatlichen Institutionen und persönliche Freiheiten sowie zu dem zukünftigen Wirtschaftsmodell Syriens und der Rolle der
Zivilgesellschaft.
Die konkreten Inhalte blieben unter Verschluss. Im Rahmen der 18 Punkte umfassenden Abschlusserklärung der eineinhalbtägigen Konferenz wurde sich für die Etablierung eines Komitees ausgesprochen, das mit dem Entwurf einer Verfassung betraut werden soll sowie die Festlegung von ethnischen oder religiösen Quoten innerhalb öffentlicher Einrichtungen abgelehnt. Außerdem wurde die territoriale Integrität Syriens betont und die Präsenz israelischer Truppen im Süden des Landes verurteilt.
Die übereilte Organisation und kurze Dauer der Konferenz, der Mangel an Vertretungen von Minderheiten und Frauen, die Intransparenz bei der Teilnehmendenauswahl und die offene Frage, inwiefern die Ergebnisse der Konferenz für die Übergangsregierung bindend sein würden, sorgten für weitreichende Kritik. Nicht eingeladen wurden u.a. Vertreterinnen und Vertreter der SDF, die über große Teile des Nordosten Syriens die Kontrolle innehaben. Aufgrund der kurzfristigen Organisation war vor allem einigen Personen, die sich im Ausland aufhielten, die Teilnahme nicht möglich.
Wenige Tage später, am 02.03.25 verkündete die Übergangsregierung die Einberufung eines Komitees, das mit dem Entwerfen einer Verfassung beauftragt wurde. Unter den sieben Mitgliedern, die alle eine juristische Ausbildung absolviert haben, befindet sich eine Frau. Die für den 01.03.25 angekündigte Regierungsumbildung steht weiterhin aus.
4. Kämpfe in Jaramana und Drohungen einer militärischen Intervention durch Israel
Am 28.02.25 kam es zu Kämpfen zwischen Sicherheitskräften der HTS-geführten Übergangsregierung und drusischen Fraktionen im Damaszener Vorort Jaramana. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zufolge sei ein Mitglied der Sicherheitskräfte getötet und neun weitere Personen seien verwundet worden.
Einflussreiche drusische Persönlichkeiten bekräftigen, es habe sich bei den drusischen Fraktionen um einen „undisziplinierten Mob“ gehandelt, der nicht stellvertretend für die drusische Bevölkerung Jaramanas sei.
Die Berichterstattung über die Ereignisse und den Auslöser der Kämpfe ist uneindeutig und es werden verschiedene Narrative über die Geschehnisse wiedergegeben. Syrische Sicherheitskräfte wurden in die Ortschaft entsandt. Spannungen vor Ort konnten durch die Vermittlung einflussreicher drusischer Personen, darunter auch Mitglieder bewaffneter Gruppierungen aus dem mehrheitlich drusischen Gouvernement Suweida, eingedämmt werden.
Der israelische Premierminister Netanyahu kündigte am Folgetag jedoch an, sollte die drusische Bevölkerung verletzt werden, würde Israel einschreiten. Das israelische Militär sei demnach angewiesen worden, sich auf eine Intervention vorzubereiten. Netanyahus Ankündigung wurde durch drusische Führungspersönlichkeiten sowie die syrische Übergangsregierung abgelehnt. Bereits eine Woche zuvor hatten Forderungen der israelischen Regierung nach einer Entmilitarisierung Südsyriens für Aufsehen und Proteste innerhalb Syriens gesorgt.
Quellen:
1. Reuters, SDF chief says PKK disarmament call 'not related to us in Syria', last update 27.02.2025; ISW, Iran Update, February 27, 2025, last update 27.02.2025; ISW, Iran Update, February 23, 2025, last update 28.02.2025; Enab Baladi, Abdi supports Öcalan’s call, disassociates from its implementation, last update 28.02.2025.
2. ISW, Iran Update, February 24, 2025, last update 24.02.2025; ISW, Iran Update, February 27, 2025, last update 27.02.2025; Enab Baladi, ﻣﺳﻠﺣونﯾﻘﺗﻠونﻣدﻧﯾَﯾنﻓﻲﺣﻣﺎة [Gunmen kill two civilians in Hama], last update 02.03.2025.
3. Reuters, Members of leading Syrian Kurdish authorities not asked to national dialogue, last update 24.02.2025; Reuters, Syria to hold dialogue conference amid criticism over inclusivity, last update 24.02.2025; Reuters, Syrians back freedoms, constitutional
process at landmark dialogue, last update 25.02.2025; France24, Syria forms committee to draft transitional constitutional charter, letzte Aktualsiierung 02.03.2025; ﻣؤﺗﻣراﻟﺣواراﻟوطﻧﻲاﻟﺳوري , @syriandc, (X), last update 25.02.2025; Syria Direct, Women
delegates weigh in on Syria’s national dialogue conference, last update 27.02.2025; Enab Baladi, National Dialogue Conference: Criticisms surround Syria’s national entitlement, last update 25.02.2025; Enab Baladi, With 18 points… National Dialogue Conference concludes its work, last update 26.02.2025; Enab Baladi, ﺗﺷﻛﯾلﻟﺟﻧﺔﻟﺻﯾﺎﻏﺔﻣﺳودةاﻹﻋﻼناﻟدﺳﺗوريﻓﻲﺳورﯾﺎ [Formation of a committee to draft the constitutional declaration in Syria], last update 02.03.2025; NYT, Talks on Syria’s Future Fall Short of Promises, Participants Say, last update 26.02.2025.
4.NYT, Syrian Forces Deployed in Majority-Druse Town After Clash, last update 02.03.2025; Enab Baladi, اﻷﻣناﻟﻌﺎمﯾﻧﺗﺷرداﺧلﺟرﻣﺎﻧﺎ [General Security deployed inside Jaramana], last update 02.03.2025; Enab Baladi, Israel threatens Damascus via Jaramana, last
update 01.03.2025; Associated Press, Israel’s military is told to prepare to defend a Druze community outside Syria’s capital, 01.03.2025.
Syrien nach dem Krieg: Ein Überblick
Der Krieg in Syrien hat eine Schneise der Zerstörung hinterlassen. Das Land ist zersplittert und wirtschaftlich am Boden; Millionen Menschen sind vertrieben oder auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ein Überblick:
Sieben Millionen Vertriebene, eine halbe Million Kriegstote, Hunger und Armut: Nach 14 Jahren Bürgerkrieg liegt das Land in Trümmern. Wie teuer es wird, das Land wiederaufzubauen, ist unklar. Die Deutsche Welle hat wichtige Eckdaten zur aktuellen Lage in Syrien zusammengestellt.
Mit rund 185.000 Quadratkilometern ist Syrien ungefähr halb so groß wie Deutschland. Rund 24 Millionen Menschen leben im Land, doch rund zwei Drittel von ihnen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Dicht besiedelt ist vor allem der Westen Syriens, doch ganze Ballungsräume rund um die Städte Damaskus, Aleppo, Hama oder Homs liegen in Schutt und Asche.
Mindestens 140.000 Gebäude, darunter alleine 3000 Schulen, sind entweder völlig zerstört oder zumindest schwer beschädigt. Auch das Gesundheitssystem ist in weiten Teilen des Landes schwer getroffen - während des Krieges berichteten mehrere Menschenrechtsorganisationen darüber, dass russische und syrische Truppen zahlreiche Krankenhäuser gezielt bombardiert hatten.
Die Schätzungen für die Kosten des bevorstehenden Wiederaufbaus variieren. Fest steht: Es geht um sehr viel Geld. Schätzungen belaufen sich auf eine Gesamtsumme von bis zu einer Billion US-Dollar.
Erschwert werden könnte der Wiederaufbau dadurch, dass Syrien stark mit Landminen verseucht ist, ohne dass das genaue Ausmaß der Kontamination bekannt ist. Von den mehr als 500.000 Kriegstoten kamen allein 12.000 durch Minen oder Blindgänger ums Leben. Damit zählt Syrien seit Jahren zu den drei am schwersten betroffenen Ländern weltweit.
Rund sieben Millionen Einwohner Syriens sind im eigenen Land auf der Flucht. Insbesondere in der nordwestlichen Provinz Idlib hatten während des Krieges mehrere Millionen Menschen Schutz vor den Truppen von Machthaber Assad gesucht. Mindestens sechs Millionen weitere Syrerinnen und Syrer sind ins Ausland geflohen - die meisten von ihnen in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien. Auch Deutschland hat fast 800.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen.
Insbesondere im Libanon dürfte die tatsächliche Zahl geflüchteter Menschen aus Syrien stark von den offiziellen Angaben abweichen. Die Vereinten Nationen gehen eher von anderthalb bis zwei Millionen Geflüchteter aus - obwohl der Libanon selbst nur etwas mehr als fünf Millionen Einwohner besitzt.
Rückkehr in ein Land am Boden. Viele dieser Menschen wünschen sich, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Doch Zweifel bleiben. Denn Syrien ist durch die Jahre des Krieges wirtschaftlich völlig am Boden.
Das Bruttoinlandsprodukt ist quasi in sich zusammengebrochen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wer überhaupt noch Arbeit besitzt, verdient heute nur noch einen Bruchteil seines Einkommens vor Kriegsbeginn.
Gleichzeitig ist die Inflation im Land mittlerweile fast dreißigmal höher als 2011. Heute leben fast alle Menschen in Syrien unter der von der Weltbank definierten Armutsgrenze - zwei Drittel davon, berichtet das Deutsche Rote Kreuz, sogar in extremer Armut.
Hinzu kommt die politische Unsicherheit. Noch immer ist unklar, wie sich das Land weiterentwickelt. Nach dem Sturz des Assad-Regimes hat die islamistische HTS-Miliz in Damaskus die Macht übernommen und mit der Bildung einer Übergangsregierung begonnen.
Nach außen gibt sich ihr Anführer Muhammad al-Dschulani als gemäßigt, doch seine Organisation wird von mehreren westlichen Staaten noch immer als Terrororganisation eingestuft. Derzeit ringt die EU um eine gemeinsame Haltung gegenüber der HTS.
Und Syrien wird auch weiterhin ein Spielball ausländischer Mächte bleiben. Im Norden sind die Türkei und von ihr unterstützte Milizen im Kampf gegen die Kurden aktiv.
Im Südosten halten die USAeine Militärbasis mit 2000 dort stationierten Soldaten, von der aus sie Stellungen des sogenannten Islamischen Staates im dünn besiedelten Osten des Landes ins Visier nimmt. So will Washington ein Wiedererstarken der Terrormiliz verhindern.
Im Südwesten hat Israel einige Gebiete der eigentlich entmilitarisierten Pufferzone nahe der Golanhöhen besetzt und strategische Ziele in Syrien bombardiert - auch aus Sorge, etwaige Chemiewaffenarsenale könnten in die aus israelischer Sicht falschen Hände geraten.
Im Westen des Landes unterhielt Russland bis zuletzt zwei strategisch wichtige Militärbasen - noch ist unklar, wie es mit ihnen nun weitergeht. Und auch der Iran, bislang größter Unterstützer des Assad-Regimes, versucht, seinen Einfluss im Land so gut es geht aufrechtzuerhalten.
Quelle: https://www.focus.de/politik/ausland/das-land-ist-voellig-am-boden-sechs-grafiken-zeigen-jetzt-wie-dramatisch-die-lage-in-syrien-wirklich-ist_5222c7a8-de64-43e6-bfe1-9017e8030ddd.html und https://quadro.burda-forward.de/ctf/7e20fc94-3752-4a77-94c9-4e7a2e7a20b1.de51e8d4-f692-4f0b-9857-00be59e2d713.png?im=RegionOfInterestCrop%3D%28992%2C684%29%2CregionOfInterest%3D%281187%2C633%29&hash=dac1d9b476fddbc544a057185b11a7b47690c543537f0312fe21c284db111c2d
Wikipedia über Syrien
Informationen über Syrien in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Syrien